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Evangelisch-lutherische Kirche in Neustadt  
       
   
 
 
 

 
 

Zu Beginn

„Ich will ihnen einen einzigen Hirten erwecken, der sie weiden soll, nämlich meinen Knecht David. Der wird sie weiden und soll ihr Hirte sein.“ Dieses Prophetenwort aus dem Buch Ezechiel steht hier hoch oben im Gewölbe – eine Verheißung Gottes, an die sich die Menschen immer wieder erinInneraumnern sollten, wenn sie in diese Kirche kommen. Ein Wort, das wir auf Jesus Christus beziehen als dem einen guten Hirten.
Herzlich willkommen zum Gottesdienst innerhalb unserer Sommerkirche. Wenn Steine sprechen – so ist das Motto der Gottesdienste in unseren Kirchen. Wenn Steine sprechen könnten, dann gäbe es viel zu erzählen, was sie erlebt haben, hier in fast 800 Jahren Kirchen- und Glaubensgeschichte. Solange steht diese Kirche hier – und so alt sind die ältesten Steine, aus denen diese Kirche gebaut wurde. Doch an dieser Kirche wurde immer weiter gebaut – eine Kirche ist auch im eigentlichen Sinne niemals fertig – und so gibt es auch jüngere Steine, die ihre Geschichte erzählen können. Alles fügt sich zusammen zu einem guten Ganzen, zu einer schönen Kirche, in der wir miteinander Gottesdienst feiern wollen. Hier in Liebfrauen – aus den unterschiedlichen Gemeinden heute Morgen, hier sind wir seine Gemeinde und so sind wir zusammen: Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Gebet

Barmherziger Gott, lieber himmlischer Vater, wir haben lieb die Stätte deines Hauses und den Ort da deine Ehre wohnt. Wir danken dir für unsere schönen Kirchen, in die wir kommen können als die besonderen Orte des Gebetes, der gemeinsamen Lieder und der gefeierten Gottesdienste. Die Kirchen als Ort der Gemeinschaft mit dir und untereinander. Öffne unsere Augen und unsere Herzen für den Schatz den wir hier mitten in unserer Stadt, in unseren Dörfern haben. Lass uns diesen Schatz pflegen und immer wieder Neues in ihnen entdecken. Lass die Steine dieser Kirche uns heute ihre Botschaft mitteilen. Rühre uns an auch durch die lange Geschichte dieser Kirche, durch die vielen Menschen, die vor uns waren und hier Gottesdienst gefeiert haben und die vielen, die nach uns kommen werden – in diese Kirche zum Gebet. Segne unsere Gemeinschaft und lass auch die Steine deine gute Botschaft verkündigen. Amen.

Lesung aus dem Alten Testament

Diese Kirche hat eine Botschaft, so wie sie aufgebaut ist, so wie die Steine, die Säulen, die Bilder zueinander geordnet sind. Dazu gibt es die Botschaft der Kirche auch zu lesen, zum Beispiel in den einzelnen Prophetensprüchen, die sichAT in den beiden Kuppeln finden. Hier im Altarraum findet sich neben dem Wort vom Propheten Ezechiel, das am Anfang dieses Gottesdienstes stand, auch ein Wort des Propheten Jeremia: Die Verheißung des neuen Bundes. Es steht hier über dem Altarraum wo die Gemeinde miteinander das Abendmahl feiert mit den Worten Jesu: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird.“ Die alttestamentliche Lesung für den Gottesdienst ist dieser Abschnitt aus dem Buch Jeremia, Kapitel 31.
"Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, ein Bund, den sie nicht gehalten haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein. Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken."
Lesung aus dem Neuen Testament

Wer durch die Seitenportale in die Kirche kommt, wird schon durch die Verzierungen am Portal – in den Stein sind Weinranken gemeißelt – auf ein besonderes Jesus-Wort hingewiesen: „Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben.“ So hören wir die Evangeliumslesung für diesen Gottesdienst aus dem 15. Kapitel des Johannes-Evangeliums. "Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner. Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen; und eine jede, die Frucht bringt, wird er reinigen, dass sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun."

Predigt

Liebe Gemeinde, wenn Steine sprechen … dann würden wir heute hier in dieser Kirche ganz viele Stimmen hören können. Es gibt so viele Steine, die so vieles Interessantes zu erzählen hätten. Wenn heute der Tag wäre, an dem die Steine einfach mal erzählen könnten, dann bräuchten wir viel Zeit zum Zuhören. Dann hätten schon die Steine am Eingang zu uns gesprochen. Noch bevor wir in diese Kirche gekommen wären, hätten wir schon viel über sie erfahren. Die Steine des eindrucksvollen Turms. Groß und stark, fast ein wenig abweisend wirken sie. Sie gehören zum ältesten Teil dieser Kirche und sind doch auch die letzten gewesen, die wir erneuert und restauriert haben.Portal
Was haben sie nicht schon alles erlebt in den fast 800 Jahren. Während der Turmsanierung war ich einmal mit einer Gruppe Journalisten auf dem Gerüst, um ihnen die Schäden an den Mauern zu zeigen. Einer sagte leichtfertig, man solle ihn doch abreißen und neu bauen, dann wird alles viel schöner. Ich habe ihm nur entgegnet, wie alt diese Kirche ist, und dass unsere Neubauten spätestens nach 50 bis 100 Jahren ganz schön alt aussehen. Aber diese Kirche ist fast 800 Jahre alt, hier hätte im 13. Jahrhundert schon der große Theologe Thomas von Aquin predigen können – hätte man damals in Italien schon etwas von dem schönen Städtchen Neustadt am Rübenberge gewusst. Diese Steine sind ein Stück Kirchengeschichte, ein Stück Glaubensgeschichte. Damals haben die Menschen hier eine Basilika im romanischen Stil gebaut. Die Bögen, wie wir sie hier links und rechts haben, sie waren deutlich tiefer als heute. Dadurch war der Raum unten dunkler, denn nur von oben kam das Licht durch kleine Fenster in den Kirchraum.
Genauso stellte man sich auch den Aufbau der Welt vor. Unten die dunkle irdische Welt und von oben her das Licht, das aus den himmlischen Sphären kommt. Was ich immer wieder besonders schön finde, noch heute kann man die Spuren von dem ursprünglichen Bau erkennen. Vor 500 Jahren wurde diese Kirche ja umgebaut, aber man hat es so gemacht, dass das Alte noch zu erkennen ist. Das Alte wurde nicht einfach aufgelöst, sondern in das Neue integriert. So sieht diese Kirche vielleicht nicht so perfekt aus, nicht nach einem Stil einheitlich ge-staltet, dafür aber lebendig. Sie vereint so vieles in sich. Vor 500 Jahren wurde sie größer und heller gebaut, die Bögen wurden höher, Licht sollte in diese Kirche hineinscheinen.Inschrift Das Jesuswort: Ich bin das Licht der Welt – wurde zum Bauprogramm, oder auch das Lied, das viele Jahre später Jochen Klepper gedichtet hat: Gott wohnt in einem Lichte, / dem keiner nahen kann. / Von seinem Angesichte / trennt uns der Sünde Bann. / Unsterblich und gewaltig / ist unser Gott allein, / will König tausendfaltig, / Herr aller Herren sein. Und doch bleibt er nicht ferne, / ist jedem von uns nah. / Ob er gleich Mond und Sterne / und Sonnen werden sah, / mag er dich doch nicht missen / in der Geschöpfe Schar, / will stündlich von dir wissen / und zählt dir Tag und Jahr. Der unendliche und heilige Gott, der sich um den einzelnen Menschen sorgt, ihm Vater und Gegenüber sein will, Kraft im Leben und Retter in der Not, Hilfe im Schweren und Freude im Glück. Es ist das Bauprogramm der Gotik – nach dem vor 500 Jahren die Kirche so gebaut wurde, wie wir sie heute vor uns haben. Der erhabene Gott, der aber doch die Beziehung zu uns Menschen will – der uns zu seinem Ebenbild geschaffen hat, der an unserer Seite ist in guten wie in schweren Tagen. Das wird in diesen Steinen deutlich. Ich merke, jetzt bin ich schon ins Erzählen gekommen, was also wäre, wenn die Steine erzählen könnten, wir müssten lange hier sitzen und zuhören. Nun aber sind wir schon in den Kirchenraum hineingekommen. Drei große Kuppeln fallen ins Auge, alle drei sind bemalt – in einem sind allerlei Fabelwesen zu erkennen – die anderen beiden sind ausgemalt mit den alttestamentlichen Pro-pheten – von denen wir schon zwei Worte gehört haben. Diese Kirche hat offensichtlich eine ganz enge Beziehung zu der Bibel Jesu. Die Propheten, die etwas von der Zukunft Gottes mit seinem Volk zur Sprache brachten – diese Worte haben unsere Vorfahren hier unter die Decke gemalt, so dass sie von allen immer gesehen werden können, wenn man nach oben schaut. Es sind Worte der Verheißung, Worte, die etwas vom Kommen Gottes aussa-gen: „Ich will mich dir verloben für alle Ewigkeit“, ein Worte des Propheten Hosea – oder „So schicke dich Israel und begegne deinem Gott“, aus Amos. Es sind Worte, die die Menschen daran erinnern, dass Gott auf uns zu kommt, dass er mit uns einen Bund eingegangen ist.
Und Worte, die etwas von der Herrlichkeit Gottes ahnen lassen, gleichwie im Paradies: „Die Berge werden von süßen Wein triefen (das heißt ja, der Wein wird einfach so aus ihnen herauslaufen) und die Hügel werden mit Milch fließen.“ Zeichen der Verschwendung, wenn Gottes Reich angebrochen ist. Es sind himmlische Worte und von daher oben in der Kirche sicherlich ganz richtig angebracht. Bemerkenswert ist dabei, dass bei aller Konzentration in der Kirche auf den Altar, auf das Kreuz, auf Christus, das Alte Testament nicht vergessen wird, das Alte Testament als Anfang und Grund der Geschichte Gottes mit den Menschen. Es ist in dieser Kirche immer präsent. Es kann nicht übersehen werden.
Und so passt es gut, dass wir seit knapp zwei Jahren einen Stein in unserer Kirche haben, der diesen Bezug zum Alten Testament noch einmal ganz deutlich macht – auch nach außen hin. Denn seit dem Herbst 2006 befindetSohn sich die Tafel mit den Anfangsworten des ersten Gebotes draußen an der Kirche – in Hebräisch: adonaj anochi elohächa: Ich bin der Herr dein Gott. Dieser Stein ist bei einer Aktion im Konfirmandenunterricht entstanden – und er weist alle, die draußen vorbeigehen, auf den Grund unseres Glaubens hin. Der Gott Israels, der Vater Jesu Christi.
Für viele Menschen sind heute die Zehn Gebote ja nichts anderes als ein paar bes-sere Anstandsregeln, dass man sich ordent-lich in seinem Leben verhalten soll.
Hier wird dagegen deutlich. In den Zehn Geboten geht es von Anfang an um die Gottesfrage und um die Beziehung zu Gott, um meine Beziehung zu Gott: Ich bin der Herr dein Gott.
Ich sehe immer wieder, wie Menschen neugierig sich diesen Stein anschauen – wo gibt es heute an einem Gebäude hebräische Schrift? Und ich hoffe, dass sie sich anregen lassen, auch in die Kirche zu kommen, wei-terzufragen nach dem Zusammenhang zwi-schen dem Gebot, dem Altem Testament und der Kirche heute. Auch dieser Stein könnte erzählen: Alle Konfirmanden von 2006 haben ihn einmal in der Hand gehabt, haben ihre Unterschrift hinten auf der Tafel geleistet. Das kann man zwar nicht sehen – aber die Konfis wissen es noch. Und so wartet dieser Stein auf seine Geschichte. Dann wenn die Konfis groß sind, als Eltern oder Großeltern wieder in diese Kirche kommen und dann ihren Kindern und Enkeln erzählen: „Da habe ich mitgemacht, das ist ein Stück Kirche, das auch von mir kommt.“ Das wäre toll, wenn es solch eine Identifizierung mit dieser Kirche gäbe.
Das wäre schön, wenn auch wir uns so mit unserer Kirche identifizieren können. Das ist meine Kirche, ich gehöre dazu, und ich habe etwas zu dieser Kirche beigetragen – vielleicht keinen Stein hinterlassen, wohl aber hier und da mitgemacht, im Gottesdienst oder bei anderen Gelegenheiten und so etwas dazu beigetragen, dass diese Kirche immer wieder mit Leben gefüllt wird. Vielleicht können sie auch sagen: Das ist mein Stein in dieser Kirche, der mich ganz besonders beeindruckt hat, den ich immer mal wieder besonders betrachtet habe oder der mir immer wieder etwas zu sagen hatte, den ich einfach schön finde.
Wir wollen jetzt einfach mal durch diese Kirche ziehen, eine kleine Prozession machen, wir wollen dabei singen und diese Kirche auf uns wirken lassen. Sie mal aus den unterschiedlichen Winkeln anschauen – mal sehen, was wir entdecken.
Achten Sie einfach mal auf die Steine dieser Kirche, spüren sie, was sie zu sagenSohn2 haben, Es sind Steine mit einer Geschichte, eine Glaubensgeschichte.
Während wir durch die Kirche gehen, wollen wir etwas gemeinsam singen: Laudate omens gentes: Lobt Gott alle Völker. Wir singen es immer wieder, damit diese Kirche von dem Klang erfüllt werden kann, geradez, dass die Steine etwas von diesem Gottesdienst aufnehmen.

Prozession um die Kirche
Haben Sie ihren Stein entdeckt auf dem Weg um diese Kirche? Haben Sie einen neuen Blick gewonnen, vielleicht ganz neue Steine gesehen?
Hier in der Kirche gibt es viele Steine, die ihre Geschichte erzählen können. Besonders schön finde ich die Schlusssteine im südlichen Seitenschiff, Petrus mit dem Schlüssel in der Hand, oder auch der Heilige Franziskus. Daneben ist auch der Jünger Johannes mit dem Kelch zu sehen, ein Hinweis auf das Abendmahl, dazu die Lilie als Symbol der Gnade. Eine überraschende Zusammenstellung von Heiligen.
Dann gibt es die Steine gegenüber, am Eingang vom Kirchplatz aus, die Weinranken, der Hinweis auf Christus als dem Weinstock und die Gemeinde die Reben an ihm. Alle diese Steine hätten heute etwas zu sagen, und wir würden ganz, ganz viele unterschiedliche Stimmen hören können. Worauf soll ich mich konzentrieren? So habe ich mich gefragt. Alles wichtige und schöne Steine – und eigentlich reden sie auch alle zusammen und keiner für sich alleine. Und dann habe ich mich für diesen kleinen Stein entschieden.
Er stammt vom Turm, von den großen Sandsteinquadern, die wir vor zwei Jahren durchbohren mussten, um die Turmmauern zu befestigen. Große Bohrer haben ihn herausgefräst, damit die Stahlstützen eingebaut werden konnten. 800 Jahre hat dieser Stein als Teil eines ganzen Sandsteinblocks diese Kirche mit getragen. Er hat den Beschuss der Kirche durch die Soldaten im 30-jährigen Krieg miterlebt. Damals hatte man ein Wettschießen auf den Kirchturm veranstaltet. Preise waren ausgesetzt, wer den Kirchturm am besten trifft. Und er hat die Zeit der napoleonischen Herrschaft miterlebt, als diese Kirche als Pferdestall missbraucht wurde. Und er hat die großen Brandkatastrophen in dieser Stadt miterlebt, mehrmals sind fast alle Häuser abgebrannt, nur die Kirche im Herzen der Stadt, sie blieb bestehen. Weil sie ganz aus Stein gemauert ist, konnten ihr die Flammen nichts anhaben.
Und auch wenn dieser Stein jetzt nicht mehr gebraucht wird, trotzdem soll er nicht verloren gehen. Wir wollen diese Steine nutzen, um Spenden für diese Kirche zu bekommen, denn es gibt noch einige Aufgaben, die wir für diese Kirche in unserer Zeit erledigen müssen. Die beiden großen alten Glocken sind gerade zur Auf-arbeitung in der Gießerei, oder die Orgel, die im kommenden Jahr saniert werden soll. Hier können diese Steine einen wichtigen Beitrag leisten. Sie kommen zu Menschen, denen diese Kirche am Herzen liegt, und für die dieser Stein ein Zeichen der VFußerbundenheit werden soll.
Vielleicht wäre dieser Stein auch gerne ein bedeutender Stein geworden, der nicht nur Teil der Mauer ist, sondern auch etwas Besonderes darstellen kann. Aber das ist ja wie im richtigen Leben. Zum Beispiel einer Gemeinde: Auch in der Gemeinde braucht es Menschen, die an ihrer Stelle ihren Dienst tun, auch wenn sie damit nicht in der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit stehen, aber sie sind trotzdem wichtig, auch wenn sie nicht zu der besonders geschmückten Evangelisten-Säule gehören. Ohne diesen Stein in der Turmmauer hätte was gefehlt, es wäre zwar nicht gleich der Turm zusammengebrochen, aber es wäre dort ein Loch gewesen. Wind und Regen hätten das Gestein auswaschen können, und der Schaden wäre groß gewesen. Also ein kleiner Stein nur, aber auch er hat eine wichtige Aufgabe. Was mir an dieser Kirche besonders gefällt, sie zeigt auch in der Weise wie sie gebaut ist eine Lebendigkeit. Hier ist nichts gleich und gerade, es gibt keine besonderen Symmetrien, sondern alles ist eigenwillig, besonders, manches ist gar schief. Die Säulen wechseln, aber auch da sind sie unterschiedlich. Diese Kirche ist wie das Leben, immer wieder ungewöhnlich und überraschend. Gerade am Freitag wurde ich noch gefragt, von einem Ehepaar mit Kulturführer, warum es denn nur eine romanische Säule gibt, warum nicht auf der anderen Seite auch eine solche Säule steht. Ich musste sagen: Ich weiß es nicht. Viel-leicht war das Geld ausgegangen oder die Steinmetze waren nicht mehr da. An dieser Kirche wurde eben Zeit ihres Daseins immer wieder gebaut. Immer wieder haben die Menschen gefragt, wie die Kirche besser gestaltet werden kann, damit sie ihre Aufgabe als Ort des Gebetes und des Gottesdienstes gut erfüllen kann und damit sie selbst auch ihre Botschaft von der Gnade Gottes ausrichten kann. Und so wurde auch manches übermalt. Vielleicht hatte man sich übergesehen an manchen Darstellungen, wer weiß. Manches ist erst bei der Restaurierung im Jahr 1997 wieder entdeckt worden. Wenn Sie einmal aufmerksam durch den Altarraum gehen, dann sehen sie dort einige unvollständige Bilder. Sie zeigen, hier war mal etwas gewesen, hier müssen noch andere Bilder verborgen sein. Im Altarraum ist das Glaubensbekenntnis aufgeschrieben, doch sichtbar sind nur die letzten Zeilen. Es gibt so vieles hier in dieser Kirche zu entdecken – viele Bilder und kleine Steine, die sich doch zu einem Ganzen fügen. Ich glaube, darin liegt der besondere Charme dieser Kirche, dass man ihr die Spuren des Wachsens und Werdens, der Veränderung in Erneuerung ansieht. Sie ist nicht durchgeplant, sondern sie ist einfach gewachsen, wie ein Mensch. Die Zeiten haben sie geprägt, und jede Zeit hat ihre besonderen Spuren hinterlassen. Und für uns ist es das besonders Schöne, dass wir heute so viel in ihr entdecken können, weil sie eben schon so alt sind. Weil 800 Jahre sich nicht in einen Gottesdienst fassen lassen, darum lohnt es sich, mal wieder in diese Kirche zu kommen. Sie wird für die Besucher immer wieder etwas Neues haben. Aus vielen einzelnen Steinen wird ein Ganzes. Das ist dann auch ganz neutestamentlich das Bild für Gottes Gemeinde. Es ist ein Leib und viele Glieder, so beschreibt Paulus das Bild der Gemeinde. Es sind viele Steine, und es ist doch eine Kirche, das Haus Gottes hier im Herzen unserer Stadt. Dieses Haus, in das wir kommen dürfen, immer wieder, zum stillen Gebet, zum Singen und zum gemeinsamen Gottesdienst. Nutzen wir diese Chance – immer mal wieder. Es wir zu unserem Segen sein. Amen.

 

 


 
 
 
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